"Vorgeprägt" - Mitteldeutschlands Münzlandschaft


Mitteldeutschland im Allgemeinen und Sachsen-Anhalt im Besonderen gehören in vielen Bereichen zu den fundreichsten Regionen in ganz Mitteleuropa und sind seit dem Mittelalter ein wirtschaftliches Zentrum des deutschsprachigen Raumes.

Hier befeuerte zudem der Rohstoffreichtum in den Silber- und Kupferminen die Münzproduktion, den Handel und somit auch den Geldumlauf. Diese Regionen waren damit gewissermaßen ein Art "Schmelztiegel" für den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Austausch.

Solche Rahmenbedingungen prädestinieren dieses Areal heute für eine Analyse der Währungsgeografie mit seinen einst verzweigten Markt- und Handelssystemen. Insbesondere auch, weil sich dieser historische Raum durch seine vielgestaltigen Prägungen von kleinen Herrschaften auszeichnet.


 

Was sind Fundmünzen?


Die Numismatik unterscheidet zwischen Fund- und Sammlungsmünzen. Fundmünzen wurden dem regulären Geldumlauf durch Verlust oder bewusstes Verbergen entzogen. Ihr Fundort und im besten Fall auch der archäologische Befundkontext sind bekannt. Sammlungs- oder Sammlermünzen weisen als reine Vitrinenstücke zwar einen weit besseren Erhaltungsgrad auf, ihnen fehlt aber der archäologische Kontext. 

Als authentische Ausschnitte des historischen Geldumlaufs ermöglichen Fundmünzen die Erforschung von Struktur, Volumen und Bewegung des Münzgelds. Wie kaum eine andere archäologische Objektgruppe lassen sie sich von der Herstellung bis zur Deponierung sicher kartieren. Währungslandschaften, also die räumlichen Nutzungsradien von Währungstypen und -zeiträumen, sind damit rekonstruierbar. Fundmünzen erlauben Rückschlüsse auf das damalige Wirtschafts-, und Handelswesen und geben Einblicke in einstige Siedlungs- und Sozialstrukturen sowie Bestattungs- und Opfersitten.

Das Einflussgebiet der jeweiligen Münzherren in räumlicher Nähe zu ihren Prägestätten kann untersucht werden. Wechselbeziehungen zu benachbarten Gebieten können genauer beleuchtet werden, da der Geldaustausch nicht an Landesgrenzen gebunden ist. Durch wiederholtes Auffinden und die Vergesellschaftung in Schatzfunden lassen sich besonders umschriftlose Münzen zeitlich und lokal verorten. Große homogene Hortfunde ermöglichen Stempelstudien zur Ermittlung von Münzausstoß und Prägereihen.


 

Warum überhaupt Münzen?

 

Münzen sind klein, leicht, genau zu klassifizieren, dank ihres Materials sehr beständig und damit insgesamt eine sehr gut handhabbare Fundgruppe. Sie stellen eine umfassende und in sich geschlossene Quellengattung dar. Das Beste: Sie lassen sich sicher oder sogar jahrgenau datieren und können als Bodenfunde auch archäologische Fundkomplexe zeitlich eingrenzen. 

Münzen sind das erste Massenkommunikationsmittel der Geschichte, das alle sozialen Schichten erreichte. Ihre Symbolik in den beidseitig abgebildeten Motiven und Legenden war meist geläufig. Sie spiegeln das damalige Zeitgeschehen und die Gesellschaft wider und geben Aufschluss über die Absichten der Herausgeber. Wer Münzen prägen durfte, hatte eine nicht unerhebliche Machtposition inne. 

Münzen sind nicht nur numismatische Objekte. Sie stellen für die gesamte historische Forschung und ihre Nachbardisziplinen eine bedeutende Quelle dar, besonders für jene Epochen aus denen nur wenige schriftliche Zeugnisse überliefert sind. Als Beispiel hierfür ist auf dem links gezeigten ↗ Brakteaten​​​​​​​ eine Äbtissin des Quedlinburger Damenstiftes zu sehen, von deren Existenz die Forschung erst über diesen Münzfund erfuhr.

 


 

Unser Ausgangspunkt


Zum gesamten Archiv- und Sammlungsbestand des LDA Sachsen-Anhalt zählen heute rund 35 Mio. Archivalien in Form von Bild-, Plan- und Schriftdokumenten sowie etwa 16 Mio. archäologische Fundkomplexe. 

Dazu gehören auch über 25.000 Fundmünzen aller Zeitstufen, von der römischen Kaiserzeit bis heute. Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Fundmünzen liegt dabei auf mittelalterlichen und neuzeitlichen Prägungen der geistlichen und der weltlichen Herrscher im Raum Mitteldeutschland. 

Im Laufe eines Jahres können im LDA durch archäologische Ausgrabungen oder Feldfunde von ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern mehrere hundert Fundmünzen hinzukommen.

Bevor die Digitalisierungsprojekte des LDA im Jahr 2017 begonnen haben, beschränkte sich die bisherige digitale Erfassung der Münzbestände auf die Verzeichnung der Münzen in einer internen Standortverwaltung mit nur wenigen Informationen zum Einzelstück. 

Zahlreiche weitere Münzbestände in Sachsen-Anhalt warten zudem noch auf ihre wissenschaftliche Aufbereitung.

 

 

Fast alle mittleren und kleineren Museen Sachsen-Anhalts verfügen über mehr oder weniger große Fundmünzbestände, die bislang wenig bis gar nicht erschlossen worden sind. Gerade Sammlungen in kleineren Museen sind meist schwer zugänglich und können unübersichtlich sein. 

Bereits im 19. Jahrhundert wurden geborgene Hort- und Schatzfunde häufig auseinandergerissen, meistbietend verkauft und sind heute entsprechend verstreut. Besonders bei diesen „Altfunden“ sind die Fundzusammenhänge bedingt durch Standortwechsel, administrative Strukturveränderungen und zwei Weltkriege häufig nur lückenhaft überliefert oder fehlen ganz.

Manche Ergebnisse sind heute mit fortgeschrittener Forschung zu korrigieren. Viele Münzfunde, besonders Einzelfunde oder kleinere Hortfunde, wurden bislang gar nicht veröffentlicht. Selbst wenn im Vorfeld durch engagierte Numismatiker eine Gesamtaufnahme erfolgte, wurden noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts häufig nur selektive Ausschnitte aus Horten in zusammenfassenden Regesten veröffentlicht. 

Vergleichende wissenschaftliche Analysen werden durch diese Desiderate erheblich erschwert.


 

Sonderfall Münze


Bei archäologischen Funden ist es üblich, diese für die spätere Bearbeitung zu beschriften und zu inventarisieren. Eine Münze lässt eine direkte Kennzeichnung jedoch nicht zu, denn jede Form einer Aufschrift würde stets Teile der Prägung verdecken. Oftmals werden daher die dazugehörigen Informationen auf einem Fundzettel beigegeben und die Münze selbst in Fundtüten oder Münzkästen verwahrt.

Hier aber liegt das Risiko: Im Rahmen einer Ausleihe oder während einer wissenschaftlichen Bearbeitung können einzelne Münzen verwechselt werden oder sogar verloren gehen. Daher wurde nach einer Möglichkeit gesucht, eine exakte Identifikation von einzelnen Münzen auf anderem Wege zu ermöglichen.