Wer ist O.S.C.A.R.?


Das Erfassungssystem O.S.C.A.R. ("Optical System for Coin Analysis and Recognition") wurde vom ↗ Fraunhofer IFF​​​​​​​ in Kooperation mit dem LDA bereits 2017 während des ersten Digitalisierungsprojektes Digital Heritage entwickelt.

Flache Objekte wie Münzen, Medaillen oder Medaillons aus Gold, Silber oder Bronze mit einem Durchmesser von 5 bis maximal 75mm können mit O.S.C.A.R. digital erfasst werden. Dabei spielt es zunächst auch keine Rolle, ob es sich um Fragmente, Halblinge oder verbogene Exemplare handelt. 

 

Da eine Münze die klassische Fundkennzeichnung in Form einer Aufschrift nicht zulässt ohne Teile der Prägung zu verdecken, berechnet die Software hinter O.S.C.A.R. anhand von rund 1.000 optischen Merkmalen einen individuellen digitalen Erkennungsschlüssel, der für jede erfasste Münze einzigartig wie ein Fingerabdruck ist. So kann eine Münze, die einmal digitalisiert wurde, auch immer wieder erkannt werden.

 


 

Wie ist O.S.C.A.R. aufgebaut?


Die digitale Erfassung der Fundmünze beruht auf der photometrischen Stereoanalyse. Sie ermöglicht eine Rekonstruktion der Tiefeninformation der Objektansicht. Dieses ↗ Verfahren verwendet eine Serie von Aufnahmen einer festen Objektansicht mit Beleuchtung aus verschiedenen Richtungen. Um die Aufnahmen vor störendem Umgebungslicht zu schützen, ist die Lichtkuppel geschlossen. Die gläserne Objektauflagefläche kann von unten beleuchtet werden. Das ermöglicht eine einfache Bestimmung der Kontur der Münze und damit ein automatisches Freistellen.

O.S.C.A.R. besteht aus einer hochauflösenden Kamera, die im Zenit einer Kuppel aus 24 LED-Leuchten angebracht wurde. Zur Fokussierung ist diese Kamera höhenverstellbar. Eine zweite Kamera befindet sich unter der Objektauflagefläche für die Münzen.
Sie ist für die Ermittlung der ↗ Stempelstellung bei Münzen, die eine kreisrunde Kontur haben, vorgesehen. Das Gewicht der Fundmünze wird über eine Feinwaage ermittelt und automatisch eingelesen. 

Ein Kalibrierkörper mit Farbkeilen sorgt für den Abgleich der RGB-Farbwerte. Referenzbohrungen dienen als Maßstabsverkörperungen. Mehrere schwarze Keramikkugeln werden genutzt, um über Reflexionen die Positionen der LEDs in Bezug auf die Kamera zu ermitteln.

mehr zum Ursprung dieses Verfahrens ...

Das Prinzip der photometrische Stereoanalyse geht zurück auf eine Arbeit aus dem Jahr 1980 von Robert J. Woodham, emeritierter Professor des Department of Computer Science an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada.

Die Grundidee beruht auf der Beobachtung, dass beispielsweise bei einem matten, einfarbigen Würfel von den drei sichtbaren Flächen diejenige am hellsten erscheint, welche der Lichtquelle am meisten zugeneigt ist.

R. J. Woodham, Photometric method for determining surface orientation from multiple images, Optical Engineerings 19, I, 1980, 139–144.


 

Ablauf der Digitalisierung einer Fundmünze


Zur Digitalisierung wird die Fundmünze jeweils mit der Vorderseite sowie der Rückseite auf die Auflagefläche gelegt und erfasst: Beide Seiten können damit stets einer Münze zugeordnet werden.

Die zentral positionierte Hauptkamera nimmt in unveränderter Position mehrfach Bilder auf, während die Münze für jede Aufnahme aus einer anderen Richtung beleuchtet wird. Für jede der in der Lichtkuppel befindlichen LED-Leuchten entsteht eine Bildserie mit unterschiedlichen Belichtungsintensitäten.

Am Ende werden diese Bildserien zu HDR-Bildern (High Dynamic Range) zusammengerechnet, um den finalen Datenumfang so gering wie möglich zu halten.

 

 

Die so erzeugten Bilder sind die Grundlage im Analyseverfahren. Jedes Pixel repräsentiert ein kleines Flächenelement der Oberfläche der Münze. Durch die Auswertung der verschiedenen Beleuchtungen kann die Neigung dieses Flächenelements geschätzt werden – die Oberflächennormale.

Bei nicht spiegelnden Flächen erscheinen diese am hellsten, wenn sie senkrecht von der Lichtquelle angestrahlt werden. Außerdem können Helligkeitsunterschiede durch Farbe von solchen durch Neigung getrennt werden – die Albedo.

Aus den Schätzungen für die Oberflächennormalen kann ein Höhenprofil der Münzansicht rekonstruiert werden. Der Rand der Münze kann mit diesem Aufbau nicht erfasst werden.


 

Digitaler Fingerabdruck


Die Software hinter O.S.C.A.R. berechnet für jede Münze aus den Oberflächennormalen ein einzigartiges, synthetisches Grauwertbild. Die individuelle Anordnung der Pixel in diesem Bild, die sich aus den Prägemerkmalen einer Münze sowie den individuellen Beschädigungen ergibt, bildet den digitalen Fingerabdruck.

Um bei einer Prüfung herausfinden, ob es sich um ein und dieselbe Münze handelt, müssen die Grauwertbilder analysiert werden. Die Wiedererkennung erfolgt in mehreren Schritten und zunächst über den Abgleich der beiden Münzkonturen: Durch den Vergleich einfacher skalarer Merkmale, wie etwa Durchmesser, Abweichungen von der Kreisform, Rissen und Ausbrüchen, kann die Menge ähnlicher Münzen bereits stark eingeschränkt werden. 

Bei vielen antiken und mittelalterlichen Münzen ist der Konturverlauf einzigartig und von dem anderer Münzen gut zu unterscheiden. Bei modernen, maschinell geprägten Münzen sind Unterschiede in den Konturen zwischen Münzen gleichen Typs kaum messbar.

 

 

Über die genaue Analyse der beiden Grauwertbilder kann schließlich ein exakter Abgleich zur Identifizierung einer Münze erfolgen. In einem mehrstufigen Prozess werden die Merkmale der beiden Münzaufnahmen miteinander verglichen. 

Dazu werden, ähnlich wie beim Erstellen von Panoramabildern, korrespondierende Merkmalspunkte in den Bildern gesucht und abgeglichen. Begonnen wird mit einer geringen Bildauflösung, die schrittweise erhöht wird. 

Wenn ausreichend viele Merkmalspaare gefunden wurden, wird geprüft, ob diese Punkte auch nach einer Drehung der Grauwertbilder zur Deckung gebracht werden können. Scheitert dieser Prozess, so wird angenommen, dass es sich nicht um dieselbe Münze handelt. 

Wird jedoch die höchste Auflösungsstufe erreicht, so gilt der Anteil der Punktpaare aus dem Merkmalsvergleich, die auch nach einer Drehung zur Deckung gebracht werden konnten, als ein Maß für die Ähnlichkeit.

 


 

Datenvisualisierung


Der gesamte Digitalisierungsprozess einer Münze inklusive der Verarbeitung und Sicherung der Daten ist – abhängig von der Größe der Münze – in rund 5 Minuten abgeschlossen. Die fertigen Bilder werden dann im TIFF-Format – dem Standard für die Langzeitarchivierung – in publikationsfähiger Qualität gespeichert. Unsere Post·Process·Software verarbeitet die Daten und speichert sie in einer eigens entwickelten Datenbank. 

In einem speziellen Viewer können die erzeugten Bilder betrachtet und bearbeitet werden. Um verschiedene Beleuchtungssituationen für die Münzanalyse zu simulieren, kann neben der Stärke auch die Position der Lichtquelle über der Münzoberfläche virtuell gesteuert werden.

Ähnlich dem Drehen einer Münze im Sonnenlicht oder der Streiflichtmethode können Struktur und Prägemerkmale ihrer Oberfläche im Detail betrachtet werden – für die häufig korrodierten Fundmünzen eine gute Möglichkeit der genaueren Typenbestimmung. Zudem können Gewicht, Durchmesser und Stempelstellung, die während der Digitalisierung automatisch erfasst wurden, angezeigt werden.


Die Möglichkeit der interaktiven Belichtungssteuerung wird in absehbarer Zeit online über die KENOM-Datenbank verfügbar sein.  

Die Digitalisierung mit dem Erfassungssystem O.S.C.A.R. birgt folglich zwei wesentliche Vorteile: Zum einen kann die Dokumentation von Fundmünzbeständen entscheidend beschleunigt werden. Zum anderen dient der individuelle Fingerabdruck als digitaler Erkennungsschlüssel für jede Fundmünze.